von Tanja
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3. August 2020
Dieses Jahr begegnet mir bei meinen Waldspaziergängen die Tollkirsche ungewöhnlich häufig. Zeit, sich ein wenig auseinanderzusetzen mit dieser besonderen Pflanze. Majestätisch wirkt sie mit ihren ausladenden Zweigen und Blättern – wie eine schöne Königin oder eine bella donna. Atropa belladonna heißt die bei uns heimische schwarze Tollkirsche mit botanischem Namen. In „Atropa“ steckt schon der Hinweis auf ihre hochgiftige Wirkung, leitet er sich doch von Atropos ab – der griechischen Schicksalsgöttin, die den Lebensfaden der Menschen durchschneidet. Mit Respekt sollte man sich ihr also nähern, denn sie kann sich gut verteidigen. Doch wie so häufig bei Giftpflanzen, kann auch sie von denen, die sich wirklich gut auskennen und sich mit ihr auseinandersetzen, als Heilpflanze eingesetzt werden. Was können wir daraus für unseren Lebensweg ableiten? Auf den zweiten Blick kommt es an. Dinge, die auf den ersten Blick verführerisch und süß erscheinen, so wie die Kirschen der Tollkirsche schmecken, können plötzlich eine ganz andere Wirkung haben und sogar schädlich für uns sein. Andersherum können Dinge, die uns erstmal als negativ und schlecht vorkommen auf den zweiten Blick vielleicht sogar eine gute Wirkung haben, so wie die Heilkraft der Tollkirsche. Es ist wichtig, sich mit den Dingen auseinanderzusetzen. Und dafür fehlt uns heutzutage vor lauter Informationsflut oft die Zeit. Irgendwo verständlich. Dennoch würde ich mir manchmal wünschen, dass wir uns wieder mehr Zeit dafür nehmen, den Dingen auf den Grund zu schauen und sie aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten bevor wir urteilen. Auch der Glaube an die Tollkirsche hat seine Höhen und Tiefen gehabt. In der Antike und im Mittelalter hatte die berauschende Wirkung der Pflanze Hochkonjunktur und man mischte sie gerne bestimmten Getränken bei, wie zum Beispiel dem Bier. Nicht immer mit gutem Ausgang. Römische Frauen haben außerdem den Saft der Tollkirsche in die Augen geträufelt um durch die pupillenerweiternde Wirkung besonders attraktiv auszusehen. Daher wohl auch der Zusatz „belladonna“. Auch magische Kräfte hat man der Tollkirsche zugeschrieben, vor allem, wenn man die Zuneigung einer anderen Person gewinnen wollte. Dann wurde sie – gemeinsam mit Bilsenkraut und Stechapfel – von der Kirche verteufelt – als Zutat der ominösen Hexensalbe, die den Hexen zum Fliegen verhalf. Heutzutage wird das aus der Pflanze gewonnene Atropin wieder in der Heilkunde verwendet, zum Beispiel zur Erweiterung der Pupillen, aber auch als Mittel bei Magen-Darm-Koliken. Auch in der Homöopathie gilt Belladonna als wertvolles Heilmittel bei Entzündungen. Der Pflanze ist das gleichgültig. Sie steht da, majestätisch im Wald, egal wieviel Aufhebens um sie gemacht wird. Sie zeigt sich uns in ihrer ganzen Pracht – zwischen Juni und August sogar gleichzeitig mit Blüten, grünen und schwarzglänzenden, also reifen Beeren. Nicht mal auf Fremdbestäubung ist sie angewiesen, auch wenn sie diese vorzieht. Denn im Notfall kann sie sich selbst bestäuben. Und so würde es uns sicher auch manchmal guttun, mehr zu SEIN und weniger zu TUN.